„Andrea, ist alles in Ordnung? Geht’s Dir gut?“ Sie saß da und starrte aus dem Fenster. Von einem Moment auf den nächsten war ihr das Gespräch mit ihren Freunden völlig egal. Ihr Handy hatte gepiept – eine Kurzmitteilung. Absender? ER! Der Eine, der Wahre. Sie kannte ihn gut, hatte ihm lange vertraut und sich dann doch von ihm abgewendet. Auch da war er ihr Dom gewesen, obgleich das wohl der falsche Ausdruck war. Sie hatte ihm gehorcht, weil es ihr ein Bedürfnis gewesen war, nicht weil er es wollte oder sie jemals gefragt hätte, ob sie dazu bereit wäre. Nein! Die SMS war angekommen und sie hatte sie gelesen. „Suche meinen Blick!“ mehr hatte er ihr nicht geschrieben und nun saß sie da in diesem Cafe mitten in der Innenstadt und suchte nach ihm, ihm und seinem Blick.
Sie suchte nach ihm, der eigentlich überhaupt nicht da sein sollte. In ihrem Kopf arbeitete es, ihre Gedanken rasten und sie überlegte, ob sie ihm eine SMS zurückschreiben und fragen sollte, wo er gerade war. Aber offensichtlich hatte er sie doch gesehen, sonst hätte er davon ausgehen müssen, dass sie zu Hause war und dort hätte sie seinen Blick unmöglich suchen können. Im vierten Stock war es ihm nicht möglich, einfach so vor ihrem Fenster aufzutauchen. Dabei war er überall. Er war da, wenn sie aufstand, begleitete sie durch den Tag und abends vor dem Schlafen, war er ihr letzter Gedanke.
Sie liebte ihn nicht, hatte sich eigentlich von ihm gelöst, doch der Sex mit ihm, das Spiel – es gab keinen Besseren. Sie räusperte sich, sah ihre Freunde an und nickte. „Alles okay. War nur etwas in Gedanken, tut mir wirklich leid.“ Sie bestellte noch einen Latte Macchiato und ging dann hinaus auf die Terrasse. Es war kühl, aber im Café war nun einmal Rauchverbot und sie wollte es unbedingt respektieren. Sie setzte sich auf einen der Tische, die zu dieser Zeit hemmungslos der Witterung preisgegeben waren. „Kommst Du? Dein Kaffee wird kalt!“ Sie lächelte und ging zurück zu ihrem Tisch. „Wir wollten dann noch einkaufen?“ Gedankenverloren gab sie Zucker in den Kaffee und rührte ihn um. „Wo warst Du eigentlich in den letzten Stunden? Du weißt doch, dass wir gleich zu einem Termin müssen und Dich dann allein lassen.“
Wieder nickte sie und legte das Geld auf den Tisch. „Ich werde dann mal …“ „Du fährst nicht mit uns?“ Ihr Freund sah sie besorgt an. „Pass auf Dich auf!“ Sie nickte lächelnd und stürmte aus dem Café direkt auf die Straße. Das Quietschen der Bremsen und wilde Hupen bekam sie nur weit entfernt mit. Ihr schien, als würde sie schweben. „Sind Sie verletzt?“ Der Fremde half ihr auf und sah nach ihrem Bein. „Sie bluten.“ Wieder nickte sie und löste sich aus seinem Griff. „Moment, junge Frau, ich bringe Sie nach Hause.“ Er ließ sie in sein Auto einsteigen und nahm dann hinter dem Lenkrad Platz. „Wollen Sie reden? Sie scheinen mir doch sehr durch den Wind zu sein.“ Diese Einladung konnte sie nicht ablehnen. Wort für Wort und Schritt für Schritt erzählte sie ihm von ihrer Abhängigkeit, von der Sehnsucht nach Liebe und all dem, was sie so tief im Herzen bewegte.
„Wie hättest Du Dich verhalten, hättest Du die SMS bekommen?“ Er lächelte sie an. „Bleib bei mir.“ Die Fahrt dauerte lange, aber wäre es nach ihr gegangen, hätte sie niemals enden brauchen. Die Art, in der er mit ihr sprach. Seine Blicke und diese zärtliche Stimme. Das war es, was sie zum Leben brauchte. „Komm mit hoch zu mir auf einen Kaffee.“ Er lächelte sie einladend an. Sie brauchte nicht zu überlegen, zu verlockend war es, bei ihm zu bleiben, frei zu sein und noch einmal von vorn zu beginnen.
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Rainer -
28. Februar 2024 um 12:25 -
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