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ZitatAlles anzeigenWir waren eine moderne Familie, auch wenn ich in gewissen Belangen doch ein recht traditioneller Mensch war. Und was das Thema Erziehung anging, war ich schon damals ein Profi, denn schließlich war ich Lehrerin von Beruf. Ich kannte die pädagogischen Theorien, wusste, wie man mit Kindern umgeht – auch mit meiner Tochter Andrea. Fünf Jahre war sie nun schon alt und ein recht lebhaftes Kind, das für sein Alter schon recht genau wusste, was es wollte – und was nicht. Grundsätzlich ist das natürlich positiv zu bewerten, doch wissen Kinder in dem Alter natürlich noch nicht immer, ob das, was sie wollen auch vernünftig und sinnvoll ist. Kinder brauchen festen Regeln und man tut gut daran, ihnen auch in jungen Jahren schon einige Pflichten aufzuerlegen, alles in Maßen natürlich.
Zu der Zeit hatte Andrea leider immer wieder gegen Regeln verstoßen und war ihren Pflichten – wie z.B. ihr Zimmer aufzuräumen – auch nach mehrmaliger Aufforderung nicht nachgekommen. Und dann mussten irgendwann Konsequenzen gezogen werden. Natürlich kamen dafür keine altbewährten Erziehungsmethoden mehr in Betracht, wir befanden uns im Jahr 2004 - und schließlich war ich Lehrerin und konnte auf mein fundiertes Wissen als Pädagogin zurückgreifen. Warum aber suchte ich im Internet schon wieder nach entsprechenden Seiten, die sich mit dem Thema "Hintern versohlen" beschäftigten?
Es war ein ruhiger Winterabend, Andrea war bereits im Bett, mein Mann, Christian, war auf Dienstreise. Ich öffnete eine Flasche Wein, setzte mich an den Kamin und ging in die Selbstreflexion – ja, sowas machen junge Lehrerinnen. Angesichts des zunehmend flegelhaften Verhaltens meiner Tochter kreiste mir dieser Gedanke immer öfter durch den Kopf, ich konnte es nicht leugnen – wollte ich meiner Tochter wirklich den Hintern versohlen? Und dann auch noch – so wollte es das Kino in meinem Kopf – den nackten Hintern?
Nein, unmöglich, was für ein Film war das? „Die Kinderschänder von Vegesack?“ Ich sollte mich am Riemen reißen und über vernünftige und gewaltfreie Erziehungsmaßnahmen nachdenken, Fernsehverbot zum Beispiel. Wobei ich mir aus heutiger Sicht die Frage stellen muss, ob Fernsehverbot eine Strafe ist oder eher ein Segen. Oder ich hätte mir einfach eines der vielen Bücher zum Thema Erziehung und Pädagogik schnappen sollen – es standen genügend davon im großen Bücherregal im Wohnzimmer parat und warteten darauf, mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen …
Gewaltfrei – Gewalt … war es wirklich ein Akt der Gewalt, der eigenen Tochter den Hintern zu versohlen? War es nicht vielmehr ein Akt der Fürsorge? Eine Verhaltenskorrektur mit etwas Nachdruck? Aber was könnte es bei ihr auslösen? Ich hatte genug Literatur dazu gelesen. Diese Art der Erziehung wurde nicht ohne guten Grund verboten in unserem fortschrittlichen Land. Dann schossen mir wieder die vielen Unartigkeiten von Andrea durch den Kopf, ihre frechen Antworten, ihre Rumzickereien, ihr Trotzkopf. Eine Tracht Prügel würde ihr guttun! Hab ich das wirklich gedacht? Unmöglich – ich muss nicht bei Verstand sein, es muss am Wein liegen. „In vino veritas“, so sagt man, doch ließ mich der Wein an diesem Abend mit widersprüchlichen und verwirrenden Gedanken zurück …
Es war drei Tage vor dem Tag x. Das Fräulein Tochter machte mal wieder Anstalten und wollte nicht in den Kindergarten gehen. Alles doof, alle blöd – na ja, auch ich hatte nicht jeden Tag Lust in die Schule zu gehen, aber Job ist Job und wir müssen uns eben aufraffen – auch wenn wir keine Lust haben. Und an diesem Tag hatte Andrea besonders wenig Lust. Dann wurde sie extrem trotzig, gab freche Antworten und schmiss auch gerne mal etwas durch die Gegend. Ich versuchte ruhig zu bleiben, damit die Situation nicht weiter eskalierte. Manchmal gibt man dann auch einfach nach – Madame war wohl ein wenig krank, Fieber? Jan … genau fühlte sich ziemlich warm an die Stirn.