Strafbesuch

Kurzgeschichte über die Lust am schmerzenden Popo. Autor: Bernd Frahm

Stefans Herz schlug ein paar Takte schneller, als er an der großen Eichenholztür klingelte. Und das lag nicht nur an den Treppenstufen, die er bis zum Eingang des Hauses hatte erklimmen müssen, in dem er das Wochenende verbringen wollte – und vielleicht nicht nur dieses, wenn es gut lief ... Er hatte Karin und Bernd Meerbohm über das Internet„kennen gelernt“. Sie hatten eine Anzeige aufgegeben, auf einer der „einschlägigen“ Seiten, und er hatte geantwortet. Man hatte sich ein paar Mal geschrieben, einander sympathisch gefunden, - und so hatten sie ihn eingeladen, an diesem Wochenende zu ihnen zu kommen. Pech nur, dass die Zugführer sich gerade jetzt hatten einfallen lassen, zu streiken. So war er erst gut zwei Stunden später als geplant bei den Meerbohms angekommen. Blöderweise hatte er auch noch vergessen, ihre Nummer in sein Handy einzuspeichern, so dass er sie auch nicht davon informieren konnte. Na ja, dachte er, ein bisschen blöd – aber sie würden es bestimmt verstehen, war nicht seine Schuld, das mit dem Streik ...

Die Tür ging auf – und eine nicht unattraktive Endvierzigerin stand dahinter. Sie war dezent geschminkt und trug ein langes, dunkles Kleid, das ihre schlanke Figur unterstrich. „Ah, da bist du ja – Stefan, nicht wahr?“, fragte sie, mit einem amüsierten Unterton. Dabei zog sie fast ein wenig missbilligend die Augenbrauen hoch –ein typischer Zug von ihr, wie er bald feststellen sollte. „Dann komm mal herein...!“ Sie drehte sich um und er folgte ihr wortlos. Na, das war ja eine Begrüßung ...

Frau Meerbohm ging durch eine lange Diele in einen großen Raum, der offenbar das Wohnzimmer darstellte. Es war gemütlich, wenn auch nicht mehr sehr modern eingerichtet: in der Mitte stand der obligatorische Tisch, drumherum eine dunkelbraune Polstergarnitur, wie man sie eher aus den 80er Jahren kannte. Aber vielleicht war das ja mittlerweile schon wieder en vogue, dachte Stefan. In einem der Sessel saß ein deutlich älterer Herr, bestimmt schon Ende Fünfzig, schätzte Stefan. Er vermittelte ihm sofort ein Gefühl der Strenge, auch wenn er ihn anlächelte. „Ah, da ist ja unser Zuspätkommer!“, begrüßte ihn Bernd Meerbohm, sich dabei aus seinem Sessel erhebend. „Dass das aber nicht zur Gewohnheit wird!“

Stefan errötete, und fühlte sich schuldig, auch wenn er in bemüht souveränem Ton antwortete: „Jaaa, tut mir leid, aber die Streiks ... Sie wissen ja ...“ „Kein Grund, nicht mal Bescheid zu sagen“, meinte Frau Meerbohm, diesmal wirklich missbilligend. „Sie werden doch wohl ein Handy haben!“ Das war Stefan jetzt wirklich peinlich. „Jaaa“, gestand er kleinlaut ein, und lächelte ver-ständnisheischend, „hab’ ihre Telefonnummer nicht aufgeschrieben ...“ „Und wir mussten dafür mit dem Essen warten – zwei Stunden!“, fuhr Karin Meerbohm unbeeindruckt fort, ohne sich auch nur die geringste Mühe zu machen, den Vorwurf aus ihrer Stimme zu verbannen. „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie aufwändig die Zubereitung des Rehrückens war?!“

Allmählich dämmerte es Stefan – das alles, die ganze „Show“, war schon Teil dessen, wes-halb er eigentlich hier her gekommen war! Sie wollten einfach sein unverschuldetes Zuspätkommen zum Anlass nehmen – dessen wurde er sich mehr und mehr sicher ... Also spielte er mit. Zerknirscht sah er wie ein ertappter Schuljunge zu Boden. „Tut mir leid, Frau Meerbohm“. Ein kurzer, verstehender Blick zwischen den beiden Eheleuten zeigte ihm, dass ihnen damit klar wurde, dass er ihr Spiel mitspielen würde. „Allerdings, mein Lieber, das wird dir noch leid tun! Ich werde dir jetzt dein Zimmer zei-gen. Da ziehst du dich um und kommst sofort wieder hier herunter!“

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