Zwei Seiten einer Medaille

Kurzgeschichte über die Lust am schmerzenden Popo. Autor: Lina Ganowski

Wenn ich morgens zum Dienst gehe, kann ich laufen. Ich trete aus dem Haus und gehe die breite, bequeme Straße entlang. Ein schöner Spaziergang, die Stadt scheint den Atem anzuhalten, bevor siedann richtig loslegt. Die Läden sind noch zu, aber es brennt schon Licht hinter den Scheiben.Der Weg bleibt allerdings nicht so schön, nach ungefähr einer Viertelstunde muß ich in eine Nebenstraße einbiegen . Je weiter ich mich von der Hauptstraße entferne, ärmlicher wird die Umgebung. Immer mehr Häuser tauchen auf, deren Fassaden Risse haben, vereinzelt sind es Sprünge, unter denen der nackte Stein her vorsieht.Hier lebt niemand gerne, hier wurde der Kampf verloren, aber noch nicht lange.

Hier sehen die Menschen ihren verflogenen Hoffnungen nach, haben die Hand noch erhoben, wollen sie noch greifen. Aber ich bin noch nicht am Ziel. Der Weg führt von Nebenstraßen in schmale Gassen. Die Häuser an den Seiten sind hoch und schlucken das Licht. Aufgeplatzte Fassaden, milchige Scheiben, hinter denen sich das Leben ergeben hat. Manchmal sieht man im Vorübergehen eine gekrümmte Gestalt hocken und vor sich hin starren.Schließlich die Anstalt, allein auf einem Platz, von dem die Gassen wegführen, als wären sie Strahlen eines dunklen Sterns. Die Anstalt sieht anders aus als die restlichen Gebäude dieser Gegend. Die Fassade ist von dumpfer Farbe, aber glatt und ohne Risse. Es wird viel Mühe darauf verwandt, diesen tadellosen Eindruck zu erhalten.

Die Fenster gehen alle zum Innenhof, so sieht man von außen nur eine makellose, dumpfe Wand. Ich gehe zum Eingang für Diensthabende. Es gibt noch ein großes Tor, aber das meide ich, niemand passiert es gerne.Mein Arbeitsraum liegt im Keller. Er ist laut Plan 43 qm groß. Die Wände sind weiß gestrichen, der Boden mit dunklem, türkisfarbenem Linoleum belegt. Die Einrichtung ist karg. Wer zur Tür hereinkommt, sieht rechts neben sich eine Holzbank. Eine weitere steht an der linken Wand. In der rechten Ecke ist ein bequemer Bürostuhl, der schräg zu den anderen Möbeln steht. Einen Meter entfernt davon hängt eine Holzleiste an der rechten Wand, an der ist mein Arbeitswerkzeug aufgehängt. Im hinteren Teil des Raumes steht ein Holzbock mit dicken, umwickelten Querbalken und kräftigen Standbeinen, an denen kurze, dicke Lederriemen befestigt sind. Schließlich steht in der Mitte des Raums noch ein Hocker, mein Arbeitsplatz.Ich setze mich hin und warte.

Ich bin immer der erste hier, es ist schön, die Ruhe zu spüren, die noch in der Luft liegt. Bald wird der Raum angefüllt sein von Schreien, Schweiß und Tränen sich windender Leiber.Bleicher wird als nächstes kommen. Er ist etwa 40 Jahre alt, ein kleiner hagerer Kerl, mit pomadisierten, in der Mitte gescheitelten Haaren, einer Nickelbrille und einem kantig geschnittenen Oberlippenbart.Tatsächlich, pünktlich genug, um die Uhr nach ihm zu stellen, kommt Bleicher nach einigen Minuten auch. Wie immer gibt er mir den heutigen Arbeitsplan und setzt sich in die Ecke auf den Bürostuhl.Wir haben jetzt seit 8 Jahren dienstlich miteinander zu tun, aber bis jetzt haben wir kein herzlicheres Wort miteinander gewechselt, als einen dürren, höflichen Gruß am Morgen. Ich nehme an, er denkt.dass diese Arbeit und meine Gesellschaft unter seiner Würde wären.Er ist Zeuge. Seine Sache ist es acht zugeben, ob die Dinge auch korrekt abgewickelt werden und gegebenenfalls auszusagen, dass die Beschuldigungen gegen mich falsch sind. Eins muss man ihm lassen: Bisher hat er noch nicht versucht, mich an zu schwärzen.

  • Version 1.0.0

Participate now!

Don’t have an account yet? Register yourself now and be a part of our community!