Die Degradierung der Prokuristin

von Agnes Benniza & Yvonne

Frau Hochmuth, die Prokuristin des Unternehmens, kommt wiederholt verspätet zur Arbeit. "Guten Morgen Frau Wehmaier", sagt sie, leicht außer Puste, zu ihrer Sekretärin. "Hoffe, sie konnten bereits einiges erledigen. Sie wissen ja, das Angebot muss bis heute Mittag fertig sein. Hoffe, sie schaffen das und reichen es mir zur Prüfung bis elf Uhr noch rein."

"Das Angebot ist erstellt und liegt Frau Brandt bereits vor. Im Übrigen sollte es bis heute Morgen schon fertig sein, so kam gestern Nachmittag noch die Anweisung. Aber scheinbar haben Sie das ja nicht mehr mitbekommen." "Sie sind meine Sekretärin! Was fällt Ihnen ein, mich bei sowas zu übergehen! Das wird Konsequenzen haben. Das verspreche ich Ihnen", schimpft sie erbost und drohend. Unbeirrt von der Drohung, bleibt Frau Wehmaier ganz entspannt. "Frau Brandt will sie sehen. Sofort!" teilt ihr Frau Wehmaier in hämischem Ton und mit einem süffisanten Lächeln mit. Frau Hochmuth erschrickt. Auf dem Weg zu Frau Brandt gehen ihr viele Gedanken durch den Kopf. Was kann denn die Chefin von ihr wollen?

Sie weiß selbst, was sie belastet, was ihr nachts den Schlaf raubt und dass sie in den letzten Wochen regelmäßig übernächtigt ins Büro gekommen ist. Durch die daraus resultierende Unkonzentriertheit schleichen sich natürlich Fehler ein. Darüber wird Frau Brandt sicher mit ihr reden wollen. Frau Hochmuth schaut der Unterredung mit Besorgnis entgegen. So erreicht sie die Tür des Büros der Chefin. Sie zögert, streicht sich ihren Rock glatt und zupft die Bluse zurecht. Dann klopft sie an. "Herein!" ertönt von drinnen. Sie tritt ein und schließt die Tür hinter sich. "Guten Tag Frau Brandt. Sie wollten mich sprechen?"

"Ja, bleiben Sie bitte kurz stehen! Ich bin gleich bei Ihnen", weist Frau Brandt sie mit befehlsgewohnter Stimme an. Nach etwa einer halben Minute, die Frau Hochmuth wie eine Ewigkeit vorkommt, schlägt Frau Brandt den Ordner, in dem sie gelesen hat, mit einem lauten "PLATSCH" zu. Frau Hochmuth erschrickt so sehr, dass sie sich eine Hand an die Wange hält. Das Geräusch hörte sich wirklich wie eine Ohrfeige an. Das Erschrecken fällt so heftig aus, weil sie selber meint, dass sie sich so eine Ohrfeige wahrscheinlich verdient hat. Zumindest eine symbolische.

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