Palmer und Cindy, mein Gastvater und meine Gastschwester, warteten bereits auf mich, als ich in Tupelo, Mississippi mit meinem Gepäck aus dem Greyhound stieg. Sie sahen mich entsetzt an. Wie ich bald herausfinden sollte, sah ich für die Leute im konservativsten Staat des »Bible Belt« eher wie ein Junkie oder Hippie aus und nicht wie ein 17-jähriger Schüler eines deutschen Elitegymnasiums, der zu einem Schulaufenthalt in die USA gekommen war.
Cindy war eine typische Südstaatenschönheit und in meinen Augen eine alberne Tussi. Ein kurzer Blickkontakt zwischen uns reichte aus, um den jeweils anderen als »geht gar nicht« einzuordnen. Und auch hinter Palmers zurückhaltend höflicher Art war die Ablehnung deutlich zu spüren.
Es war das Jahr 1976, und in Hamburg war es nichts Besonderes, dass auch ein guter Schüler eines humanistischen Gymnasiums mit sehr langen Haaren und ausgefransten Jeans herumlief. Ich war ziemlich groß (einssiebenundachtzig) und sehr dünn und roch zudem nach Zigarettenqualm, der für meine Gastfamilie auf einer Stufe mit den Schwefeldämpfen der Hölle stand.
Cindy fuhr das Auto und sprach während der Fahrt kein Wort mit mir. Palmer erkundigte sich zumindest danach, wie meine Reise verlaufen war. Betty, meine Gastmutter, reagierte ebenfalls schockiert auf meinen Anblick, machte auf mich allerdings einen etwas sympathischeren, handfesten Eindruck. Auch Joan, Cindys ältere Schwester, die eigens von ihrem College in Alabama nach Hause gekommen war, um mich mit in Empfang zu nehmen, schluckte hart, fing sich aber als erste und machte ein paar witzige Bemerkungen über den hinterwäldlerischen Charakter von Tupelo.
Nach einem sehr einsilbig verlaufenden Abend zog ich mich in mein Zimmer zurück, rauchte ein paar Zigaretten und schlief bis zum nächsten Morgen durch.
Am Frühstückstisch erklärte mir Palmer steif, dass sie nicht wünschen würden, dass in ihrem Haus geraucht werde. Ich möge dazu bitte nach draußen gehen. Ich entschuldigte mich.
»Am besten, du gewöhnst es dir ganz ab.« fügte Betty hinzu.
Dann musterte sie mich missbilligend und erkundigte sich, ob ich die Absicht hätte, in meiner Aufmachung in die Schule zu gehen.
»Ich gehe immer so zur Schule.«
Cindy zog nur die Augenbrauen hoch.
Am Schuleingang war sie sofort verschwunden, sodass ich erst mal ziemlich hilflos alleine dastand. Die anderen Schüler musterten mich, als wenn ich ein Alien wäre. Ich wiederum fühlte mich wie ein Komparse ohne Regieanweisung in einem Spielfilm aus den 50er-Jahren. Alle Jungs trugen Stoffhosen, Hemden und drollige Bürstenhaarschnitte. Und die meisten Mädchen wirkten auf mich, als wenn sie sich gerade auf ihre Zukunft als Handarbeitslehrerin vorbereiten würden. Immerhin gab es Mädchen. Zumindest in diesem Punkt hatte sich meine Hoffnung nach sieben Jahren in einem Jungengymnasium erfüllt.
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November 7, 2022 at 4:45 PM -
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