„Tut mir leid, Philip, Sylvia kann heute nicht mit rauskommen. Sie war ziemlich unartig und ich hab sie auf ihr Zimmer geschickt.“ „Oh“, sagte ich enttäuscht. Bei uns in der Gegend gab es nur wenige Kinder in meinem Alter, vor allem keine Jungen, und obwohl Sylvia ziemlich herrisch und eingebildet sein konnte, waren wir gute Spielkameraden, ja vielleicht sogar Freunde geworden. Wenn sie jetzt Stubenarrest hatte, würde ich mir ziemlich verloren vorkommen.
Sylvias Mutter hatte Verständnis für mich. „Komm kurz herein und trink ein Glas Brause und vielleicht ein paar Kekse dazu.“ Zögernd folgte ich ihr in die Küche. Ich mochte Frau Linke eigentlich, hatte allerdings manchmal auch ein bisschen Schiss vor ihr. Sie hatte einen ziemlich derben Humor und, was sie für witzig hielt, war mir oft ein wenig peinlich und unangenehm. Ich fühlte mich in ihrer Gegenwart oft völlig unsicher, und vor allem jetzt ohne den Beistand der viel frecheren Sylvia. Doch diesmal war Frau Linke einfach nur nett und während ich kaute und trank, sagte sie mit einem Augenzwinkern: „Na ja, damit Du den Weg nicht ganz umsonst gemacht hast …“ „Oh?“, stotterte ich nur in meiner selbst für einen 12-jährigen übertriebenen Schüchternheit. Frau Linke lächelte mir zu, ging ohne zu antworten zur Küchentür und rief: „Sylvia, komm runter – aber sofort!“ Ich hörte oben eine Tür zuschlagen und Schritte auf der Treppe. Dann kam eine sichtlich schlechtgelaunte Sylvia in die Küche gestapft, blieb aber sofort stehen, als sie mich sah. „Was will der denn hier?“, wollte sie argwöhnisch wissen. „Ich habe Philip auf eine Brause eingeladen“, entgegnete ihre Mutter ruhig, „Und ich muss feststellen, dass Deine Manieren nicht besser geworden sind, obwohl Du nun reichlich Gelegenheit hattest, oben über Dein Verhalten nachzudenken. Nun gut, ich bin sicher, ein paar direktere Maßnahmen werden das ändern.“
„Mama, das kannst Du nicht …“, wollte Sylvia widersprechen, doch … „Halt den Mund!“, unterbrach ihre Mutter sie plötzlich schneidend. Sylvia guckte sie widerspenstig an, starrte auch böse zu mir rüber, doch blieb ruhig. Was mich betrifft, ich hatte nicht die Hälfte von all dem verstanden, doch mit einer zunehmenden Erregung fühlte ich, dass sich hier gleich ungewöhnliches abspielen würde.
Sylvia war zwar ein Jahr jünger, aber schon ein bisschen größer und kräftiger als ich. Sie hatte honigblonde Haare, die zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden waren, blaue Augen und massenhaft Sommersprossen um ihre Stupsnase. Heute trug sie ein Sommerkleidchen mit Blumenmuster, kurze Söckchen und Turnschuhe.
„Nun Philip, was denkst Du?“, schmunzelte ihre Mutti, „Was sollen wir mit ihr machen? Natürlich werde ich ihr jetzt ordentlich den Po versohlen, aber was meinst Du, soll ich sie übers Knie legen? Oder über den Stuhl da bücken? Oder vielleicht über den Tisch?“
Von rhetorischen Fragen hatte ich in meinem Alter noch nie was gehört, doch ich wusste auch so, dass niemand eine Antwort erwartete, selbst wenn ich mit meinem klopfenden Herz im Hals hätte sprechen können. Wieder versuchte Sylvia einen Einwand. „Mama, das ist nicht gerecht, dass Philip …“ Doch wieder unterbrach ihre Mutter sie, diesmal allerdings zuckersüß: „Sylvia, Du solltest in 11 Jahren jetzt gelernt haben, dass Du weder durch Betteln noch Diskutieren weniger Senge kriegst, eher das Gegenteil. Deshalb schlage ich vor, Du hörst jetzt auf hier rumzustreiten und hältst endlich den Mund.“ Sylvia folgte dem Vorschlag nur halb, sagte zwar nichts mehr, grummelte aber hörbar vor sich hin. „Wie Du willst“, fuhr ihre Mutter geschäftsmäßig fort, „Ich denke, Du kriegst Deinen Hintern voll überm Knie.“ Sie setzte sich auf einen Küchenstuhl und klopfte sich auf den Schenkel. „Komm jetzt her, aber fix!“
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29. Mai 2023 um 18:16 -
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